Die Pfadfinder haben sich verlaufen. Sie glauben zwar, nun auf dem richtigen Weg zu sein, sind sich aber nicht sicher. Keiner traut sich zu fragen, ob der Scout die Karte falsch gelesen hat, der Kompass nicht richtig funktioniert oder das GPS falsch anzeigt. In Unternehmen sieht es in Krisen oft ähnlich aus. Keiner will so richtig fragen, weshalb die Erfolgsspur schon länger verlassen wurde und was man zur Rückkehr dorthin tun müsste.
Ursachen- und Spurensuche
Auf die Frage „Warum läuft es derzeit so schlecht?“ kommt oft schnell die Antwort „Die Krise!“ In vielen Fällen ist das richtig, häufig aber auch nur zum Teil. Manchmal wollen die Betroffenen gar nicht nach weiteren oder den dahinter liegenden Ursachen für die Schieflage im Unternehmen suchen. Warum ist das so?
Schamsituationen vermeiden
Oft weiß oder ahnt man schon die wirklichen Ursachen, will sie aber nicht wahrhaben: falsche Markteinschätzung, Fehlentscheidungen, Verschwendung oder zu spätes Handeln. Bislang ist dies keinem aufgefallen und so soll es auch bleiben. Denn keiner wird gerne öffentlich mit seinen Fehlern der Vergangenheit konfrontiert, schon gar nicht in Krisensituationen, die zunächst Angst auslösen. Da will sich niemand noch zusätzlich für Versäumtes schämen müssen.
Vertrautes bewahren
Bekanntes im Unternehmen bringt Sicherheit und hilft, die Kontrolle zu behalten. Neues stellt für diese Sicherheit ein Risiko dar. Wenn Neues verhindert wird, löst sich gleichzeitig dieses Risiko ins Nichts auf. Daher herrschen in vielen Unternehmen starke Bewahrungstendenzen. Unternehmenskulturen wirken zudem meist bewahrend, da sie die Summe der gemeinsamen Erfahrungen abbildet.
Skepsis verhindert Selbstreflexion
Ein gebranntes Kind scheut das Feuer, sagt der Volksmund. Wer schon einmal schlechte Erfahrungen mit Veränderungen gemacht hat, will häufig gar nicht mehr darüber nachdenken. Es hat sich ein Misstrauen in neue Methoden und zu den Befürwortern der Veränderung eingestellt, bevor man das Neue überhaupt in Erwägung gezogen hat. Wer aber nur selten über Veränderungen nachdenkt, erachtet einen „Kassensturz“ (sprich eine Reflexion) oft als nicht notwendig.
Andere Haltung erleichtert Selbstreflexion
Jeder macht Fehler. Dies müssen sich alle Menschen eingestehen. Grundlagen dafür sind Ehrlichkeit und Vertrauen sich selbst und anderen gegenüber. Bildet sich eine solche Haltung im Unternehmen aus, müssen sich die Menschen nicht mehr für vergangene Fehler schämen. Dies ebnet den Weg zur Bereitschaft zu einer ehrlichen Reflexion. Ähnlich verhält es sich bezüglich bewahrender Tendenzen. Eine offene und veränderungsfreundliche Haltung im Unternehmen verhindert, dass bewahrende Kräfte dominieren, die eine Reflexion verhindern.
Ehrliche Selbstreflexion ist Kultursache
Jenseits bewahrender und schamvermeidender Kräfte spielt auch die Unternehmenskultur eine wichtige Rolle, ebenso wie die Landeskultur. In Japan ist „Hansei“ (Selbstreflexion) jedes Einzelnen eine Selbstverständlichkeit, wohingegen westliche Kulturen leicht zum Blaming und Finger Pointing neigen. Man kann aber nur dann sich selbst, sein Handeln und damit einhergehend seine eigene Arbeit verbessern, wenn man die eigenen Verbesserungspotentiale erkennt und hebt.
Ein neuer Kurs läuft nicht im alten Fahrwasser
Wer nicht weiter will oder kann, wie bisher, der muss einen neuen Kurs einschlagen. Hier ist Vorsicht angebracht, damit das Neue keine Replique des Alten wird. Eine neue Richtung soll schließlich Verbesserungen bringen und ans Ziel führen. Daher ist unumgänglich, das Vergangene zu reflektieren, bevor die zukünftige Richtung festgelegt wird. Nur so lassen sich die gewünschten Veränderungen aktiv und positiv gestalten. Die Pfadfinder müssen daher wissen, was falsch war, damit sie frohen Mutes den richtigen Weg einschlagen können.
Mehr erfahren?
In seinem Buch „Changeprozesse positiv gestalten“ zeigt Günther Schöffner auf, wie wichtig Selbstreflexion für Veränderungsprozesse ist und wie man eine veränderungsfreundliche Unternehmenskultur etabliert.