„Geist ist das belebende Prinzip im Menschen.“ (Immanuel Kant)
Von guten Büchern sagen wir, sie seien geistreich. In einem angenehmen Hotel haben wir den Eindruck, dass dort ein guter Geist weht. Albert Einstein war unzweifelhaft ein großer Geist. An den Hochschulen lehrt man Geisteswissenschaften. Manche Menschen sind von Politik begeistert, andere hingegen sind entgeistert, weil es so viel Kleingeisterei in Behörden gibt. All das hat mit Geist zu tun – aber was damit genau gemeint ist, dürfte alles andere als klar sein. Lassen Sie mich deshalb einen Vorschlag machen: Geist ist das, was uns begeistert. An seinen Werken könnt ihr ihn erkennen.
Was ist es denn, das Menschen begeistert?
‚Gut‘, werden Sie sagen, ‚aber das verschiebt ja nur die Frage: Was ist es denn, das Menschen begeistert?‘ Das kann vieles sein: die einen sind von Rockmusik begeistert, die anderen von ihren Liebsten, wieder andere von einem Fußball-Team und manche sogar von einer Marke. Außerdem gibt es solche, die von Donald Trump begeistert sind – oder von einem Guru … oder gar von der Idee, als Selbstmordattentäter den Märtyrertod zu sterben. Spätestens hier tut eine Scheidung der Geister not. Nicht alles, was begeistert, ist auch gut, so scheint es. Oder gibt es so etwas wie böse Geister, die zu bösen Taten stimulieren, wenn sie erst entfesselt sind – zum Beispiel bei einem Reichsparteitag …?
Wer Begeisterung verstehen will, muss klären, was es mit dem Geist auf sich hat.
Da hilft die Geisteswissenschaft, allen voran die Philosophie, die sich seit langem mit dem Geist beschäftigt. Was kommt dabei raus? Folgendes: Geist ist etwas Allgemeines, das einerseits den Einzelnen übersteigt und die Einzelnen andererseits verbindet. Der Philosoph Martin Buber hat das zum Ausdruck gebracht, als er sagte: „Geist ist nicht im Ich, sondern zwischen Ich und Du. Er ist nicht wie das Blut, das in dir kreist, sondern wie die Luft, in der du atmest.“ Das ist stark, denn es erklärt das Wunder der Begeisterung: Begeistert sind wir immer dann, wenn wir gerade nicht in unserem Ich gefangen sind: unser Ding drehen, unsere Ziele verfolgen, unsere Ansichten vertreten. Selbstbezüglichkeit hat noch niemanden begeistert.
Im Gegenteil: Begeistert sind wir, wenn wir selbstvergessen etwas tun, was uns mit anderen verbindet.
Zum Beispiel, wenn Sie etwas spielen oder einem Spiel beiwohnen – egal ob das Fußball, Skat oder ein Schauspiel ist; oder wenn Sie ein gutes Gespräch führen; wenn Sie gemeinsam mit Kollegen an einem Projekt arbeiten; wenn Sie auf einen Berg steigen und sich mit der Natur verbunden wissen. Dann kann es geschehen, dass es zwischen Ihnen und den anderen funkt, dass Sie das Gefühl haben: Wow, das ist schön, das ist sinnvoll; wow, das verstehe ich; wow, wir verstehen uns. Und dann, husch, weht der Geist um Ihre Nase: der Geist, der immer schon da war, aber im Alltag Flaute hatte. Jetzt umweht er Sie, jetzt weht er zwischen Ihnen und den Anderen. Jetzt sind Sie begeistert. Die Pointe dabei ist: Der Geist, weht wo er will. Das unterscheidet den Geist vom Ungeist. Den Ungeist können Sie durch Manipulation, Konditionierung und Fanatisierung technisch erzwingen. Aber das führt letzten Endes nie zu Begeisterung, sondern zur großen Entgeisterung, wenn der Schwindel aufgeflogen ist. Den echten Geist kann man nicht machen. Sie können aber Räume öffnen, wo er wehen darf. Und Sie können diese Räume kultivieren. Wenn Sie sich Begeisterung im Unternehmen wünschen, wird es darauf ankommen, Gewächshäuser für den Geist zu errichten.