Münzgeld

MMT: Baustoff für Paradigmenwechsel

Die gesellschaftlichen Herausforderungen sind komplex und haben multiple Ursachen. Die Tatsache, dass wir allerdings in Sachen nachhaltiger Lösungen nicht wirklich vorankommen, hat einen gemeinsamen Grund: unser ökonomisches Denken. Wir verzetteln uns ständig in der Finanzierungsfrage, ohne zu merken, dass das die völlig falsche Frage ist. Viel eher sollten wir uns fragen, wie wir unsere realen Ressourcen – von Arbeitskraft bis Rohstoffen – im Sinne unserer gemeinschaftlichen Zielvorstellungen bestmöglich einsetzen.

Das Geldsystem ist dann das zentrale Instrument, um die angestrebte Bewirtschaftung der Ressourcen auch umzusetzen. Solange wir jedoch die Funktionsweise des Geldsystems nicht verstehen und zweckgemäß bedienen, sind wir wie ein Autofahrer, der mit der Gangschaltung nicht umgehen kann und sein Auto ständig abwürgt. Wir müssen unser wirkungsvollstes Werkzeug verstehen, um die gesellschaftlichen Herausforderungen – von Klimawandel bis Armut – zu lösen.  Genau hier setzt die ökonomische Denkschule der Modern Monetary Theory (MMT) an. Sie liefert das Handbuch zum Umgang mit dem Geldsystem und stellt einen Paradigmenwechsel in Sachen Wirtschaftspolitik in Aussicht.

Wirtschaft als Mittel zum Zweck

Dafür braucht es allerdings zuvorderst eine Abkehr von der neoliberalen Denke, wonach die Wirtschaft als nobler Selbstzweck fungiert, dem Mensch und Umwelt unterzuordnen sind. Wirtschaft ist Mittel, nicht Zweck. All die Institutionen, Regeln, Gesetze und Organisationsformen, die unser heutiges Wirtschaftssystem auszeichnen und unser Wohlergehen unmittelbar und nachhaltig beeinflussen, sind von uns geschaffen worden und können auch von uns geändert werden. Dabei ist der größte institutionelle Hebel der demokratisch legitimierte Staat. Der Staat hat den größten Einfluss auf die Ausgestaltung des Wirtschaftssystems. Nicht „der Markt“ oder das Unternehmertum, sondern der Staat, dessen Währung und dessen Wirtschaftspolitik bilden das Zentrum des Systems. Wirtschaft neu denken bedeutet also den Handlungsspielraum des Staates neu zu denken.

MMT und die Auffassung von Knappheit

Wie im vorherigen Beitrag „Das Geld des Staates: Eine neue Sichtweise“ gezeigt, kommen wir gar nicht dazu, die Fragen zur optimalen Bewirtschaftung der Ressourcen oder der Umgestaltung des Wirtschaftssystems zu beantworten, weil wir an der Vorstellung scheitern, dass Geld knapp sei. Das führt zu faulen Kompromissen zwischen Gemeinwohl und staatlicher „Kassenlage“. Wenn wir aber Geld als Recheneinheit verstehen, die eine Beziehung zwischen Schuldner und Gläubiger definiert, dann wird klar, dass Geld keiner natürlichen Mengenbeschränkung unterliegen kann. Zu sagen, dass der Währungsherausgeber Projekt X nicht umsetzen kann, weil es ihm an eigener Währung fehlt, ist so, als würde man sagen, die Bäckerin kann kein Brot backen, weil es ihr an Gramm fehlt.

Anders sieht es für natürliche Ressourcen aus. Arbeitskraft, Rohstoffe, Land – all das sind knappe Ressourcen, die einer Mengenbeschränkung unterliegen. Hierfür braucht es also ökonomische Lösungen. Lösungen dafür, die knappen Ressourcen im Sinne des Gemeinwohls bestmöglich zu bewirtschaften.

Zwar beschäftigt sich die MMT vornehmlich mit dem Geldsystem und den makroökonomischen Zusammenhängen, doch genau diese Differenzierung in Sachen Knappheit ist eine der zentralen Einsichten. Blickt man durch die analytische Linse der MMT, erscheinen die relevanten Fragen im Rampenlicht. Die Finanzierungsfrage hingegen wird von der Bühne geschmissen.

Es geht um Ressourcen, nicht um Finanzierung

Nehmen wir den Klimawandel als Beispiel. Angesichts des Klimawandels ist es überfällig, dass wir unsere Wirtschaft ökologisch umbauen. Die Zeit drängt. Um von braun zu grün zu kommen, braucht es umfassende Wirtschaftsreformen und einen mutigen Strukturwandel. Das ist auf vielen Ebenen herausfordernd: politisch, gesellschaftlich, technologisch – und ökonomisch.

Dabei müssen wir – als Gesellschaft – unsere Ressourcen umverteilen und anders einsetzen: raus aus Bereichen, in denen sie der Umwelt schaden und nicht das Gemeinwohl fördern und rein in die Bereiche, die umweltverträglich sind und das Gemeinwohl fördern. Ein solcher Strukturwandel mit großen Veränderungen bedeutet im Zeitalter neoliberaler Politik Unsicherheit und Existenzsorgen für die Betroffenen und trifft verständlicherweise auf Skepsis und Widerstand – insbesondere bei denjenigen, die bisher von der neoliberalen Politik am meisten benachteiligt wurden. Der Strukturwandel findet bei der Bevölkerung nur Akzeptanz, wenn diese ökonomisch und sozial bessergestellt wird. Es braucht eine Perspektive. Soziale, ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit müssen zusammen gedacht werden.

Doch auch hier ist der Debattenfokus verzerrt. Ökonomen und Politiker überschätzen die triviale Frage der Finanzierung in ihrer Bedeutung und lenken zu wenig Aufmerksamkeit auf die wirklich relevanten Fragen. Wie können Ressourcen in braunen Bereichen freigesetzt und in grünen Bereichen mobilisiert werden? Wie kann den betroffenen Menschen eine verlässliche und aussichtsreiche Zukunftsperspektive samt Jobsicherheit, Einkommenssicherheit, Mitbestimmungsrecht und sozial-gesellschaftlicher Anerkennung geboten werden? Wie können Verteilungsprobleme und Inflation vermieden werden?

Wirtschaftspolitik neu denken

Die analytische Linse der MMT ermöglicht neue Lösungsansätze für genau diese Fragen und liefert den Baustoff für einen wirtschaftspolitischen Paradigmenwechsel.

Dazu gehören unter anderem eine massive Investitionsoffensive, eine Ausweitung der öffentlichen Daseinsvorsorge, eine staatliche Jobgarantie als automatischer Stabilisator der Wirtschaft und eine Anpassung der Spielregeln für den Privatsektor. Ebenso sollte das Steuersystem nicht länger auf bloße Einnahmegenerierung, sondern auf antizyklische Stabilisierung der Konjunktur, Freisetzung von Ressourcen in braunen Wirtschaftsbereichen, Korrektur ökonomischer Ungleichheit und umweltfreundliche Verhaltensanreize ausgerichtet werden. Der Erfolg der Wirtschaftspolitik insgesamt ist an funktionalen Zielen, wie z.B. der Vermeidung unfreiwilliger Arbeitslosigkeit oder dem Fortschritt der ökologischen Transformation, und nicht an beliebigen Buchhaltungsergebnissen, wie z.B. der Höhe des Staatsdefizits, zu messen.

Im Kern geht es darum: Wie setzen wir unsere realen Ressourcen bestmöglich ein, um das größtmögliche Gemeinwohl zu erreichen. Wenn wir eine Antwort darauf finden, dann ermöglicht das Geldsystem die Umsetzung – sofern es den politischen Willen gibt und wir das Geldsystem richtig bedienen.

Sie werden sich nun sicher fragen, wie denn eine Ausweitung der öffentlichen Daseinsvorsorge, eine staatliche Jobgarantie oder ein reformiertes Steuersystem konkret aussehen könnten. All diese und weitere Reformvorschläge, etwa eine Neuausrichtung der Geldpolitik und eine Reform des Bankenwesens, stellt Maurice Höfgen in seinem Buch „Mythos Geldknappheit“ vor, das am 11. September erscheint:

Abbildung Buchcover Mythos Geldknappheit


Lesen Sie auch den vorherigen Beitrag von Maurice Höfgen:
Das Geld des Staates – Eine neue Sichtweise

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