„Die ganze Welt ist Bühne, und alle Frau’n und Männer bloße Spieler. Sie treten auf und gehen wieder ab… “ heißt es bei Shakespeare in „Wie es euch gefällt“. Wir spielen alle Theater. Das ganze Leben lang versuchen wir, in Interaktionen ein gewisses Bild von uns zu vermitteln. Gerade Führung spielt sich auf einer Bühne ab, mit Darstellern und Claqueuren, Schurken und Clowns, Kulissenschiebern und Publikum. Allerdings geht es für die Betroffenen des Spektakels nicht um Erbauung oder Unterhaltung, sondern um Existentielles. Deswegen lautet für sie die Frage: „Wem trauen wir es zu, uns dorthin zu führen, wo wir hinsollen?“
Die Essenz der inszenatorischen Kompetenz
Dieses Zutrauen bekommt man nicht geschenkt, man muss es sich durch Glaubwürdigkeit erarbeiten. Dafür ist ein gesundes Maß an Selbstdarstellung nötig (Abbildung 1). Eine übertriebene Inszenierung kippt leicht ins Lächerliche. Ein Zuwenig wirkt hingegen graumäusig und wird andere Menschen kaum zu einer Gefolgschaft anregen. Aufmerksamkeit durch Selbstdarstellung dient auch dazu, den Menschen in der Organisation Sinn zu vermitteln. Dies ist nur möglich, wenn die Menschen den Wert ihrer Tätigkeit in einem Gesamtzusammenhang erkennen können. Orientierungshilfen wie Leitbilder und Grundsätze sind unpersönlich und damit blutleer. Mithilfe der inszenatorischen Kompetenz kann Sinn jedoch erlebbar gemacht werden.
Zutrauen durch Authentizität
Der griechische Wortursprung authentikós läuft zwar auf „echt“ hinaus. Doch was bedeutet „echt“, wenn es gar kein solitäres Selbst gibt? Im Grunde genommen haben wir ein „multiplexes“ Selbst, da wir in unterschiedlichen sozialen Situationen unterschiedliche Teile unseres Selbstkonzepts realisieren. Eine Person wirkt authentisch, wenn die diversen Signale, die sie aussendet, ein harmonisches Bild ergeben. Authentizität wird verfehlt, wenn ich als Beobachtender unter Spannung stehe, weil ich Widersprüche spüre und sich das Ganze anfühlt wie ein kratziger Pullover. Das Zutrauen, um das ich bei anderen Menschen werbe, steht und fällt mit einer in sich stimmigen Inszenierung.
Zutrauen durch Eindrucksteuerung
Sagt ein Psychologe zum anderen: „Ihnen geht’s gut, und wie geht’s mir?“ Diese Verkehrung soll deutlich machen, dass wir uns stets auch mit den Augen des anderen wahrnehmen. Damit liegt es nahe, dass wir das, was die Augen des anderen wahrnehmen, auch beeinflussen können. Es ist uns also möglich, den Eindruck, den andere von uns haben, zu steuern. Dafür stehen uns fünf inszenatorische Ausdrucksmittel zur Verfügung: die Stimme als hörbare Visitenkarte der Persönlichkeit; die Mimik mit ihren mehr als 10.000 verschiedenen Ausdrucksmöglichkeiten; die Gestik, gleichsam der Taktstock für den Sprechakt; die Körperhaltung, die alles zu einem Gesamtbild zusammenfügt; und die Proxemik als Wirkung durch das Verhalten im Raum.
Sinngebung durch Rituale
Wichtig für die Sinngebung einer ganzen Organisation sind Rituale als eine besondere Form kollektiver Verhaltensweisen. Beispiele sind Erinnerungs- und Gedenktage; die (umstrittene) Weihnachtsfeier; die Inszenierung von Einführungen und Verabschiedungen; „Heldenfeiern“ zur Würdigung des Außergewöhnlichen; oder Veranstaltungen, um einen Wandel einzuleiten. Rituale werden anhand von Drehbüchern (Skripts) inszeniert, die in der Organisationskultur verankert sind. Der Mensch ist und bleibt eben ein Stammeswesen. Im Stamm können sich Menschen von der Bürde der Rationalität befreien und sich gegenseitig gefühlsmäßig aufladen.
Sinngebung durch Sprache
Sprache schafft Wirklichkeit. Eine der vielen Möglichkeit sind Geschichten. Sie schlagen eine Brücke zwischen Vergangenheit und Zukunft. Das macht sie für die Sinngebung in Organisationen so attraktiv. Sie können immer auf praktisch Bewährtes oder gemeinsam Erlebtes Bezug nehmen. Durch diese gefühlsbetonte Bindung sind Geschichten konkurrenzlos. Wer eine Geschichte erzählt, zeigt sich – anders als bei einer Anweisung oder einem Appell – ebenbürtig mit seinen Zuhörern. Noch dazu, wenn er nicht als Held oder Visionär erzählt, sondern am besten als Zeuge oder gar als Betroffener.
Der Wert der inszenatorischen Kompetenz
Wer über inszenatorische Kompetenz verfügt, wird wichtige Episoden in seiner Führungs- und Projektarbeit – Präsentationen, Auftritte, Rituale – nicht dem Zufall überlassen, sondern sich mit Bedacht darauf vorbereiten. Oder sich anderenfalls einer Schauspieltrainerin anvertrauen, um an Stimme, Mimik, Gestik und Köperhaltung zu arbeiten.
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Heuristische Kompetenz – Von Archimedes zu Mark McCormack
Intrapersonale Kompetenz – Aus dem Hamsterrad in die Innenschau
Interpersonale Kompetenz – Könnerschaft im Zwischenmenschlichen
Interpretative Kompetenz – Das Bedeutsame aus dem „Rauschen“ filtern
Das Buch „Schlüsselkompetenzen in Führungs- und Projektarbeit“ wirft einen kritischen Blick auf herkömmliche Kompetenzmodelle und stellt das neue Umfeld für Führungs- und Projektarbeit vor. Es entwickelt daraus fünf zentrale Schlüsselkompetenzen und verknüpft diese mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen.