Gerade überdurchschnittlich erfolgreiche Familienunternehmen kommen irgendwann unweigerlich an den Punkt, an dem die tradierten Führungsverhältnisse dysfunktional werden und eine Fortsetzung derselben das Unternehmen in eine existentielle Krise schlittern lässt. Der Umbau dieser Verhältnisse in Richtung eines postpatriarchalen Zustandes ist jedoch ausgesprochen voraussetzungsvoll. Mit den dabei in Gang gesetzten Veränderungen gilt es, das gesamte Fundament wie auch die tragenden Säulen der bisherigen Praxis in der Steuerung des Unternehmens auf eine sehr weitreichende Weise zu transformieren. An welchen Stellhebeln ist hier auf jeden Fall anzusetzen?
Die Verlagerung der Führungsverantwortung an der Unternehmensspitze auf mehrere Schultern
Die traditionelle Bündelung aller Entscheidungskompetenzen in einer Hand gilt es konsequent aufzulösen. Damit ändern sich die Autoritätsverhältnisse ganz dramatisch. An der Spitze steht in Zukunft ein Führungsteam, zumeist bestehend aus Mitgliedern der Unternehmerfamilie und Fremdmanagern, das als Team die erforderliche unternehmerische Verantwortung nun gemeinsam zu tragen hat. Im Team selbst gilt es, sorgfältig die Rollen und Verantwortungsbereiche der Mitglieder zu klären und wechselseitig auszuhandeln, wie man miteinander die Führungsarbeit an der Spitze organisieren und wie man als Führungsmannschaft ins Unternehmen hinein wirksam werden will.
Die erfolgreiche Neuorganisation der Führungsarbeit an der Spitze ist der entscheidende Erfolgsfaktor, damit der Rest der Organisation in den angedachten Veränderungsprozess erfolgreich mitgenommen werden kann.
Die Logik des „Organisationsförmigen“ gewinnt Oberhand gegenüber der Logik der Personenorientierung
Die Aufgabenverteilung im Topmanagementteam sollte die Grundarchitektur des Organisationsaufbaus des Unternehmens widerspiegeln. Das setzt die Klärung der Frage voraus, nach welchen Prinzipien die unternehmensinterne Gliederung nach Einheiten und Subeinheiten gestaltet werden soll. Zu welchen Ergebnissen solche Überlegungen auch immer führen, sie bilden die Grundlage für ein stimmiges „Redesign“ der Strukturen und Prozesse und damit auch für das Festlegen der Aufgabenfelder jedes einzelnen und der damit verbundenen Kooperationserfordernisse im Unternehmen. Nur vor so einem wohldurchdachten Hintergrund lässt sich das tradierte Prinzip, organisationsintern alles um Personen herum zu bauen, Schritt für Schritt überwinden.
Für die Entwicklung eines solchen in sich stimmigen Organisationsdesigns ist es hilfreich, sich ernsthaft mit den aktuellen und künftigen strategischen Herausforderungen des Unternehmens beschäftigt zu haben. Denn die Art und Weise, wie man sich organisatorisch aufstellt, sollte stets eine klug durchdachte Antwort auf die Frage sein, wo will ich mit meinem Unternehmen eigentlich hin?
Strategieentwicklung als eine gemeinschaftliche Führungsleistung ergänzt das unternehmerische „Bauchgefühl“ der Pionierzeit
Hat in der Vergangenheit das intuitive Einschätzungsvermögen des Unternehmers treffsicher zu allen wichtigen strategischen Weichenstellungen geführt, so geht es jetzt darum, dieses absolut erfolgskritische Entscheidungsvermögen im Topmanagementteam in Abstimmung mit dem Aufsichtsgremium und den Eigentümern sicherzustellen. Strategieentwicklung in diesem Sinne benötigt eigens konzipierte Prozesse, in denen die beteiligten Entscheidungsträger in periodischen Abständen eine gezielte strategische Standortbestimmung vornehmen, um aus derselben tragfähige Impulse für die künftige Ausrichtung des Unternehmens zu gewinnen, eine Ausrichtung, die von den Verantwortlichen in der Governance dann gemeinsam gewollt und mit ganzer Energie unterstützt wird.
Personalentscheidungen orientieren sich konsequent an den aufgabenbezogenen Erfordernissen des Unternehmens
Die Kultur familiengeführter Unternehmen fußt auf dem (in der Regel impliziten) Versprechen, dass jeder einzelne, jede einzelne bei persönlich relevanten Entscheidungen auch als Person mit ihren höchstpersönlichen Belangen zählt. Damit sind bei den Entscheidungsträgern in der Regel Loyalitätsverpflichtungen verbunden, die die leistungsbezogenen Aspekte des Unternehmens vielfach gegenüber den persönlichen Interessen einzelner zurückstehen lassen. Auch in einer postpatriarchalen Welt gilt es, diese Kultur nicht gänzlich über Bord zu werfen. Allerdings wird es unerlässlich, die leistungsbezogenen Kriterien gerade bei Fragen der Performancebeurteilung, bei Besetzungsentscheidungen und ähnlichen Anlässen sehr viel stärker zur Geltung zu bringen.
Dieser Musterwechsel stellt insbesondere an die verantwortlichen Führungskräfte „der alten Schule“ ganz neue Herausforderungen. Nun müssen Personalentscheidungen den organisatorischen Gegebenheiten folgen und nicht umgekehrt, wie das früher der Fall war, wo die Organisation auf die persönlichen Möglichkeiten der Beschäftigten ausgerichtet wurde.
Interne Abstimmung und Koordination wird deutlich wichtiger und gelingende Kommunikation deshalb zu einem entscheidenden Erfolgsfaktor
In Familienunternehmen reduzieren die angestammten Führungsverhältnissen den Kommunikationsaufwand üblicherweise auf ein Minimum. Der größte Teil an Abstimmungserfordernissen ist im täglichen Miteinander gut eingespielt. Ab einem bestimmten Komplexitätsgrad des internen Geschehens führen diese kommunikationsarmen Koordinationspraktiken allerdings zu immer schwerwiegenderen Missverständnissen. Genau dieser Gefahr gilt es, auf dem Weg in die postpatriarchale Welt gezielt gegenzusteuern. Das bedeutet mit Augenmaß die Formate der Regelkommunikation entlang den Abstimmungserfordernissen der Organisation zu erweitern und mit hoher Aufmerksamkeit dafür Sorge zu tragen, dass die Begegnungen und der damit verbundene Aufwand als fruchtbar erlebt werden.
Diese wenigen scheiternsbezogenen Andeutungen mögen genügen, um zu verdeutlichen, wie extrem anspruchsvoll der Weg in die postpatriarchale Welt ist. Letztlich kommt es darauf an, dass dieser Prozess selbst von der Spitze aus mit viel geduldigem Dranbleiben geführt wird. Es gilt, jeden der genannten Stellhebel sorgfältig im Auge zu behalten und zu sehen, dass die Transformation über den ganzen Zeitraum des Umbauens bei laufendem Motor ein subtiles Zusammenspiel all dieser Dimensionen benötigt. Bleiben einzelne dieser Faktoren in der Alten Welt verhaftet, dann bekommt der ganze Veränderungsprozess ernsthafte Probleme.
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