Besitzen Organisationen Innovationsgene? Und können fehlende Gene in die Unternehmens-DNA mit einer Art „Genschere“ verpflanzt werden? Diesen und anderen Fragen wurde bereits im ersten Blog-Beitrag nachgegangen. Auch diesmal wollen wir Organisationen metaphorisch als lebende Organismen betrachten, woraus sich eine weitere spannende Frage ergibt: Haben auch Unternehmen eine Immunabwehr, mit der Neues aufgespürt, bekämpft und beseitigt wird?
Das Immunsystem der Organisation: ein komplexes Netzwerk
Ein Ausflug in die Immunologie zeigt, dass unser Immunsystem in den Körper eingedrungene Mikroorganismen und fremde Substanzen entfernt und außerdem in der Lage ist, fehlerhaft gewordene körpereigene Zellen zu zerstören. Es funktioniert als komplexes Netzwerk aus verschiedenen Organen, Zelltypen und Molekülen – genau wie eine Organisation aus unterschiedlichen Individuen, Teams und Bereichen besteht.
Tatsächlich gibt es zwei unterschiedliche Arten der unternehmenseigenen Immunabwehr: eine unspezifische, die bereits angeboren ist, und eine spezifische, adaptive, die im Lauf des Lebens erworben wird. Durch ein gut koordiniertes Zusammenspiel der angeborenen und adaptiven Immunabwehr wird die komplexe Immunreaktion des Körpers ermöglicht – und der Widerstand gegen innovative Ansätze effizient gestaltet.
Verbale Leukozyten: den Anfang macht die unspezifische Immunabwehr
Die unspezifische Abwehr ist nicht auf bestimmte Erreger spezialisiert, sondern blockt generell alle nicht körpereigenen Eindringlinge ab. Und auf Unternehmen übertragen: das Neue wird einfach schon deshalb an der Unternehmenspforte abgeblockt, weil es von außen kommt. Innovation mit der Brechstange, Leuchtturmprojekte und purer Aktionismus können ebenfalls diese unspezifischen Reaktion hervorrufen – das haben unsere Forschungsreisen gezeigt, die wir in unserem Buch „Corporate Innovation Mindset“ beschreiben. „Uns geht’s doch gut – warum jetzt dieses Projekt?“, „Immer wieder muss jemand eine neue Sau durchs Dorf treiben!“, „Neu heißt nicht besser!“, „Wer sagt, dass wir nicht wissen, was unsere Kunden wollen?“ – diese und viele weitere blockierenden Sätze sind die ‚verbalen Leukotzyten‘, die sich als Fresszellen, Mastzellen und natürliche Killerzellen auf die innovativen Eindringlinge stürzen.
Programmierter Projekttod: den Rest erledigt die spezifische Immunabwehr
Auf innovative Ansätze, die diese ersten Abwehrmechanismen überleben, wartet dann bereits die spezifische Immunabwehr mit ihren T-Helferzellen und T-Killerzellen. Diese wirken häufig auch auf der informellen Ebene im Flurfunk und in Besprechungen, heften sich an innovative Projekte und leiten den „programmierten Projekttod“ ein.
Ein Teil der T-Helferzellen entwickelt sich sogar zu T-Gedächtniszellen, die sich den Erreger jahrzehntelang merken. Somit können sie bei einem erneuten Infekt mit demselben ‚Innovations-Erreger‘ noch schneller Alarm schlagen, und der Organisations-Körper kann eine noch schnellere Immunantwort geben.
Die Immunabwehr kann den Widerstand auch übertreiben
Doch damit nicht genug. Das Immunsystem kann sogar die Fähigkeit verlieren, auf fremde Eiweiße angemessen zu reagieren. Die übermäßige Aktivierung der Mastzellen kann zu allergischen Reaktionen wie zum Beispiel Heuschnupfen führen.
Und so können im Unternehmen beispielsweise erste Experimente mit agilen Arbeitsweisen schnell zu einer ausgewachsenen AGILITIS – einer Art innovativer Heuschnupfen – heranwachsen, weil Führungskräfte bspw. selbstorganisiertes Arbeiten sogleich mit Machtverlust gleichsetzen oder Transparenz sofort zu Neid und Wettbewerb führen. Deshalb braucht es angepasste Experimente, die von den Mitarbeitenden selbst initiiert und getragen werden. Doch dazu mehr im nächsten Blogbeitrag.
Bürokratismus: eine Organisation kann sich sogar selbst bekämpfen
Und nicht immer funktionieren die Schutzmechanismen fehlerfrei, sodass es zu Autoimmunkrankheiten des Unternehmenskörpers kommen kann, bei denen das organisationale Immunsystem sogar körpereigene Strukturen angreift. In die Untermenswelt übertragen: herausforderndes Tagesgeschäft, extensive Controlling- und Reportingvorlagen, detaillierte Projektanträge und Freigabe-Procederes, falsche Motivations- und Anreizssysteme, alte Karrierepfade, Silodenken und mehr ersticken dann jegliche innovative Ansätze – sogar wenn sie aus der Organisation selbst heraus entstehen!
Mehr erfahren?
Wenn Sie auch erfahren wollen, wie Innovationswiderstände nachhaltig überwunden werden können, dann geben Ihnen das Autorentrio Berg, Nowotny, Weissmann in ihrem Buch „Corporate Innovation Mindset“ neue Gedankenanstöße.