Der Begriff „Schulden“ ist negativ belegt. Wer sich verschuldet, der wirtschafte schlecht, der handle gar entgegen bewährter Tugenden. Schnell wird die ökonomische also zur moralischen Frage in einer aufgeregt geführten Debatte. Da empfiehlt sich: Einen Gang zurückschalten und sich der Geldtheorie widmen. Eine Einführung in das Wesen des Geldes aus Sicht der MMT.
Geld ist wohl die wichtigste Institution in einer modernen, monetären und arbeitsteiligen Wirtschaft. Geld ist Ausgangs- und Endpunkt der Produktion von Waren. Es bestimmt, was produziert und wie es verteilt wird. Der eine hat viel, der andere hat wenig. In der Gesellschaft verlaufen daher diverse Konfliktlinien rund ums Thema Geld. Welche Fragen könnten demnach wichtiger sein als jene nach dem Wesen des Geldes?
Geld als Ausdruck von Schuldbeziehungen
Geld ist keine Sache, sondern ein soziales Konstrukt. Ein Schuldschein. Die Form des Geldes – ob Kerbhölzer, Gold, Silber, Wechselbriefe, Münzen oder elektronische Datenbankeinträge – ist dabei nebensächlich. Es bescheinigt ein Schuldverhältnis und drückt somit die Beziehung zwischen zwei Parteien aus. Dabei stehen sich die Partei, die etwas schuldet, und die Partei, die etwas bekommt, gegenüber. Es gibt keinen Gläubiger ohne Schuldner ― und andersherum. Die Schuld des Gläubigers entspricht in der Höhe logischerweise 1:1 der Forderung des Gläubigers. Es sind zwei Seiten einer Medaille. Der bedauernswerterweise jüngst verstorben David Graeber zeigt in seinem Buch „Schulden: Die ersten 5000 Jahre“, dass Schuldbeziehungen seit jeher festgehalten wurden ― noch bevor das Konzept von Geld geläufig war.
Ohne Schuldner keine Gläubiger
Wenn ich allein auf einer einsamen Insel strandete, könnte ich mit niemandem eine solche Schuldner-Gläubiger-Beziehung eingehen. Es gäbe also keinen Bedarf für Geld. Ohne Geldschulden gibt es auch keine Geldguthaben – gibt es kein Geld. Es benötigt immer jemanden, der das Geld schöpft und jemanden, der es als Schuldschein akzeptiert – Herausgeber und Nutzer bzw. Schuldner und Gläubiger. In der Praxis sind wir aber alle sowohl Schuldner als auch Gläubiger, denn bei jedem Kauf und Verkauf entstehen neue Schuldbeziehungen. Wenn wir kaufen, werden wir zu Schuldnern, wenn wir verkaufen, werden wir zu Gläubigern. Die Nettoschulden der Welt sind genau 0 ― zumindest, solange wir nicht an den Mars verkaufen. Das heißt auch: Wer reich werden will, der versucht einen Überschuss an Forderungen anzuhäufen bzw. möglichst viele andere zu Schuldnern zu machen.
Wirtschaft ohne Schuldner?
Im Wirtschaftsalltag werden derartige Schuldbeziehungen permanent ― bei jeder Transaktion ― eingegangen, verändert und getilgt. Wirtschaft und Schulden gehören zusammen wie Pott und Deckel. Wenn wir im Supermarkt einkaufen, entsteht uns eine Schuld gegenüber dem Supermarkt. Wir werden zum Schuldner, der Supermarkt zum Gläubiger. Unsere Schuld könnten wir ― theoretisch ― mit einem eigenen Schuldschein begleichen, etwa in dem wir auf einem Papier notieren, dass wir dem Halter dieses Papiers den Gegenwert unseres Einkaufes schulden. Das Problem: Der Supermarkt wird das wohl nicht akzeptieren. Warum? Nun, der Supermarkt kann mit unserem privaten Schuldschein nicht viel anfangen. Er kann damit weder seine Steuern noch seine Lieferanten bezahlen. Würde der Supermarkt lauter privater Schuldscheine seiner Kunden akzeptieren, hielte er am Ende des Tages einen bunten Blumenstrauß an Schuldscheinen, für die sich kein Lieferant der Welt interessiert. Aus demselben Grund können wir beim Bäcker unseres Vertrauens nicht mit den Freipizza-Gutscheinen vom Italiener um die Ecke bezahlen. Der US-amerikanische Ökonom, Hyman P. Minsky, pflegte daher zu sagen: „Jeder kann Geld schaffen. Die Herausforderung ist, dass es akzeptiert wird“.
Schulden werden mit Schulden beglichen
Während mit Pizzagutscheinen nicht gut Brötchenkaufen ist, werden Bankguthaben und Euronoten von der Bäckerin gerne akzeptiert. Bankguthaben sind Schuldscheine der Banken und Euronoten Schuldscheine der Europäischen Zentralbank (EZB). Wenn wir bei der Bäckerin bezahlen tilgen wir unsere Schuld, indem wir andere Schuldscheine an die Bäckerin übertragen. Bezahlen wir mit der Bankkarte veranlassen wir, dass Bankkontoguthaben von uns auf die Bäckerin übertragen werden. Schaut man hinter die Fassade wird klar: wir begleichen unsere Schuld gegenüber der Bäckerin mit der Übertragung der Schuld, die eine Geschäftsbank uns gegenüber hat. Andersherum könnte man auch sagen: die Forderung, die der Bäckerin durch den Brötchenverkauf uns gegenüber entstanden ist, begleichen wir mit der Übertragung einer Forderung gegenüber unserer Geschäftsbank ― nämlich dem Kontoguthaben. Bezahlten wir in diesem Beispiel hingegen mit Bargeld, so würden wir die uns entstehende Schuld (Forderung der Bäckerin) gegenüber dem Supermarkt mit einer Schuld der Zentralbank (Forderung gegenüber der Zentralbank) tilgen.
Was Pizzagutscheine von Bankguthaben und Euronoten unterscheidet
Pizzagutscheine zu akzeptieren, ergibt für die Bäckerin nur Sinn, wenn sie entweder selbst beabsichtigt, bei der Pizzeria zu dinieren oder sie die Gutscheine nutzen kann, um woanders einzukaufen. Was in kleiner Nachbarschaft noch funktionieren mag, ist in arbeitsteiliger Marktwirtschaft unrealistisch. Bankguthaben hingegen stehen da schon höher im Kurs. Zum einen müssen viele Leute Kredite tilgen und Zinsen zahlen, zum anderen garantiert der Staat, dass Bankeinlagen jederzeit in Euronoten getauscht werden können. Die Euronoten wiederum sind der FC Bayern der Schuldscheine. Der Grund: Wir müssen alle in irgendeiner Form Zahlungen an den Staat leisten ― ob Steuern, Gebühren oder Bußgelder. Der Staat wiederum akzeptiert dafür nur seine eigenen Schuldscheine, sprich: gedruckte und digitale Euronoten (sog. Zentralbankgeld, auch Reserven genannt). Da Steuern den größten Teil an den Staat gerichteter Zahlungen ausmachen, kommt diesen eine besonders hohe Bedeutung zu. Zudem: während der Pizzabäcker und die Bank sich bei Vergabe von Gutscheinen bzw. Krediten selbst zum Schuldner machen, kann der Staat mittels Steuern andere zum Schuldner machen. Der Staat nimmt also eine Sonderrolle ein.
Wo bleibt die Moral?
Wird das Wort Schulden ausgesprochen, ist die Moralkeule oft nicht weit. Doch wer darf die Moralkeule legitimerweise schwingen, wenn Schulden und Vermögen einander bedingen? Eine schwierige Frage. Denn: Schuldbeziehungen sind inhärenter Bestandteil unserer Wirtschaft und das seit jeher. Wer Aussagen über Schulden trifft, muss auch über die zugehörigen Vermögen reden. Wer also beispielsweise fordert, Staatsschulden abzubauen, der muss auch sagen, wessen Geldvermögen in gleicher Höhe abgebaut werden soll. Hier wird es politisch. Geldtheorie dient der Versachlichung.
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Reformvorschläge wie etwa eine Neuausrichtung der Geldpolitik und eine Reform des Bankenwesens, stellt Maurice Höfgen in seinem Buch Mythos Geldknappheit vor.
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