Familienunternehmen sind in vielerlei Hinsicht anders als Nichtfamilienunternehmen. In diesem Punkt ist sich die Forschergemeinschaft inzwischen absolut einig. Das gilt auch für die Art und Weise, wie sie geführt werden und organisatorisch aufgestellt sind. Diese Besonderheiten finden allerdings in der weitverzweigten Führungsforschung der letzten Jahrzehnte wenig Resonanz. Familiengeführte Unternehmen befinden sich gleichsam im blinden Fleck dieser Forschungsanstrengungen. Dies ist umso bedauerlicher, wenn man bedenkt, dass in Deutschland 90% der Unternehmen diesem Unternehmenstyp zuzurechnen sind und mehr als die Hälfte aller unselbständig Beschäftigten in solchen Unternehmen arbeiten. Für die Zukunftsfähigkeit dieser Unternehmen ist die Art ihres Geführtwerdens und der erfolgreiche Wandel dieser Art im Zuge ihres Lebenszykluses zweifelsohne eine Schlüsselgröße. Deshalb lohnt es sich, einen genaueren Blick auf diese Dimension zu werfen.
Was begründet die angesprochenen Besonderheiten?
An der Spitze dieser Unternehmen stehen üblicherweise Unternehmerpersönlichkeiten, die drei ganz unterschiedliche Rollen und die damit verbundene Entscheidungsmacht in ihrer Person vereinen: die Eigentümerrolle, die oberste Führungsverantwortung im Unternehmen und die Rolle des Oberhaupts der Unternehmerfamilie. Diese Machtfülle verleiht den Funktionsträgern an der Unternehmensspitze eine außergewöhnliche Autorität. Ihre Situationseinschätzungen und ihre damit verbundenen Willensäußerungen besitzen eine selbstverständlich wirksame Orientierungskraft und damit eine nicht weiter zu hinterfragende Geltung. An diese Position richten sich die Erwartungen des Umfeldes (ob von Außen kommend, aus dem Inneren des Unternehmens wie seitens der Familie), dass dort alle Entscheidungen von Belang gut aufgehoben sind und kompetent wahrgenommen werden. Mit dieser umfänglichen Konzentration der relevanten Entscheidungen an der Spitze geht Hand in Hand, dass sich die Beschäftigten auf den Ebenen darunter primär auf ihre operativen Aufgaben fokussieren können und dabei nur in geringem Maße unmittelbare Führungsverantwortung übernehmen müssen. In Punkto Führung fühlt sich ein großer Teil der Beschäftigten direkt mit dem Inhaber, der Inhaberin persönlich verbunden. Das sind die letztlich entscheidenden Führungsbeziehungen. Diese sind allerdings in keinem Organigramm explizit festgelegt. Genau festgeschriebene Hierarchieebenen gibt es in der Regel nicht. Das Aufgabenspektrum und der Verantwortungsbereich eines jeden einzelnen ist im Laufe der Zeit um die jeweiligen persönlichen Qualitäten der Leute und um den situativen Bedarf im Unternehmen herum gewachsen.
Die auf diese Weise organisch entstandene Zuständigkeitsverteilung spiegelt keine elaborierten Organisationsüberlegungen wider. Sie folgt dem Primat der Personenorientierung. Wenn sich Defizite in der Aufgabenerledigung zeigen oder wachstumsbedingte Kapazitätsengpässe auftun, dann werden diese durch Umschichtungen der persönlichen Verantwortungsbereiche einzelner gelöst.
Die wechselseitigen Abstimmungs- und Koordinationserfordernisse können ohne viel Aufwand bewältigt werden, weil man einander sehr gut kennt und sich deshalb auf wechselseitig stabile, vertrauensbasierte Erwartungen stützen kann. Die lange Verweildauer verbunden mit einer geringen Fluktuation ermöglicht dieses eingespielte wechselseitige Verstehen, diese persönliche Qualität des alltäglichen Miteinanders und diese Form des unkomplizierten Kooperierens, die keiner formalen, bürokratisch abgesicherter Regeln bedarf.
Kulturell fest verankerte Selbstverständlichkeiten steuern das Ganze
Die angesprochenen kommunikationssparenden Formen des unternehmensinternen Zusammenarbeitens funktionieren nur vor dem Hintergrund einer gemeinsam geteilten, familial geprägten Organisationskultur. Im Zentrum der Kultur familiengeführter Unternehmen steht eine für Unternehmen an sich außergewöhnliche reziproke Loyalität. Die Verantwortungsträger an der Spitze des Unternehmens können darauf setzen, dass sich die Beschäftigten ihrem Unternehmen in besonderer Weise zugehörig und damit auch verpflichtet fühlen, sich mit ihrer ganzen Energie für dessen Erfolg einzusetzen. Es existieren gleichsam familienähnliche Bindungen, die in der Belegschaft ein Maß an Einsatzbereitschaft grundlegen, das weit über das hinausgeht, was in „normalen“ Unternehmen an Engagement erwartet werden kann. Umgekehrt können die Beschäftigten damit rechnen, dass sie bei der Unternehmensleitung auch mit ihren persönlichen Belangen zählen und im Bedarfsfall mit diesen Belangen auch auf eine faire Weise Berücksichtigung finden. Diese reziproke Loyalität und das damit verbundene Sich-Verantwortlich-Fühlen besitzt zweifelsohne etwas Familienhaftes, ein Umstand, der viel dazu beiträgt, dass diese Art von Führungskultur und die damit verknüpften Praktiken alltagssprachlich gerne als „patriarchalisch“ bezeichnet werden.
Es sind genau diese Führungskultur und die konsequent um Personen herum gebauten Organisationsverhältnisse, die dazu führen, dass sich Quereinsteiger aus Nichtfamilienunternehmen in einer solchen Umgebung normalerweise ganz schlecht zurecht finden.
Befreit man den Begriff des „Patriarchalischen“ von seinen dezidiert abwertenden Implikationen, dann begegnet einem in solchen Unternehmen eine Art von Führungspraxis, die man im klassischen Sinne zurecht als unternehmerisch bezeichnen kann.
Über das spezifisch „Unternehmerische“ an der Führung von Familienunternehmen lesen Sie nächste Woche in Teil 2 des Blogbeitrags.
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