Westliche Führungskräfte gehen in ihrem Engagement und ihrer Loyalität gegenüber lokalen Angestellten im arabischen oder asiatischen Raum oft nicht weit genug, weil sie die Wichtigkeit von verlässlichen sozialen Grundlagen und ihre Verpflichtungen im Netzwerk nicht sehen oder zumindest falsch einschätzen. Der Aufbau von Vertrauen, Engagement und Loyalität verlangt in einer nähebezogenen Gesellschaft hingegen ein viel konsequenteres soziales Engagement einer westlichen Führungskraft, denn wenn Loyalität in einem Unternehmen fehlt, wird Führung schwierig.
Konsequenzen fehlender Loyalität
Fehlende oder ungenügende Loyalität von Seiten der Führung kann beispielsweise im Falle von Entlassungen zu gravierenden Konsequenzen führen. Entlassungen kommt im Gegensatz zu Anstellungen immer noch viel zu wenig Aufmerksamkeit zu. Kaum eine Anstellung für eine etwas wichtigere Position wird heute im Westen ohne Assessments gemacht. Der Unterschied zu den Entlassungen, die im schlimmsten Fall noch aus den Medien erfahren werden müssen, ist deshalb frappant.
In der westlichen Sicht zählt bei einer Entlassung oft allein die wirtschaftliche und rechtliche Lage, auch hier ein rein zielorientiertes Vorgehen. Die soziale Seite wird vielfach nicht beachtet, sie wird nicht als Sache des Unternehmens gesehen, sondern bestenfalls noch des Staates, wenn es wie jetzt in der Zeit des Coronavirus zu Kurzarbeit oder Entlassungen kommen muss. Loyalitäten werden vom Unternehmen gerne von den Mitarbeitenden gefordert, in Verkennung der Tatsache, dass sie immer gegenseitig sind. So gut eine positive Unternehmenskultur eine Verbesserung der Geschäftsresultate ermöglicht, so sicher wird eine schlechte Unternehmenskultur negative Auswirkungen haben. Missachtung von Loyalitäten der Geschäftsleitung gegenüber den Mitarbeitenden können wie Entlassungen gerade in nähebezogenen Gesellschaften im asiatischen und arabischen Raum zu grossen Problemen und massiven wirtschaftlichen Verlusten führen.
Ich denke an den Fall einer westlichen Fluggesellschaft, den ich in China in den neunziger Jahren erlebt habe. Das Unternehmen hatte eben einen neuen General Manager nach Beijing gesandt. Er schien dem Prinzip zu huldigen, dass neue Besen gut wischen. Jedenfalls war eine seiner ersten Amtshandlungen die Entlassung einer langjährigen lokalen Angestellten, die ursprünglich aus der chinesischen Zivilluftfahrtsbehörde gekommen war. Die Angestellte hätte schon lange entlassen werden müssen, doch keiner der Vorgänger hatte es wegen ihrer Verbindungen zur Behörde gewagt, Hand an sie zu legen. Sie war ja gerade wegen dieses Netzwerkes angestellt worden. Nun kam ein zielorientierter Manager, der sie endlich auf die Strasse stellte – selbstverständlich unter Einhaltung aller rechtlichen Verpflichtungen, die die Fluggesellschaft ihr gegenüber hatte. Doch der Manager hatte die Eigengruppe / Fremdgruppen Dynamik in ihren negativen Reaktionen unterschätzt.
Eine der ersten wichtigen Aufgaben des neuen General Managers bestand darin, den Erstflug der Linie von Beijing nach Shanghai vorzubereiten. Das Unternehmen hatte seit längerer Zeit die Verbindung von Europa in die chinesische Hauptstadt unterhalten. Nun sollte sie mit den entsprechenden Festlichkeiten um eine Destination verlängert werden. Dabei stellte ihm die entlassene Mitarbeiterin ein Bein, denn sie veranlasste über ihr Beziehungsnetz, dass am Schluss des Auftankens des Flugzeuges in Beijing Wasser nachgefüllt wurde. Wie Diesel hat auch Kerosin immer einen bestimmten Wassergehalt, den ein Instrument in der Pilotenkabine anzeigt. Wenn dabei eine gewisse Menge überstiegen wird, muss das Kerosin ausgepumpt und die Tanks gereinigt werden, bevor sie wieder gefüllt werden dürfen. Die ehemalige Angestellte hatte dem General Manager so den Erstflug ruiniert, denn Reinigung und erneutes Auftanken führten zu einer langen Verzögerung des Flugs. Die Gäste mussten ausgeladen werden und der Weiterflug fand unspektakulär einen Tag später statt. Niemand konnte zudem einem Täter etwas vorwerfen, denn Kerosin hat immer einen gewissen Wassergehalt …
Das soziale Kapital, das die Mitarbeiterin bei ihrer Anstellung einbrachte und das einen wichtigen Grund für ihre Anstellung dargestellt hatte, wurde nun bei ihrer Entlassung plötzlich zur hohen Hypothek für das Unternehmen. Entlassungen verdienen deshalb gerade in Kollektivgesellschaften Aufmerksamkeit, wenn sie sich nicht nachträglich zu beträchtlichen Problemen entwickeln sollen.
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Hier geht es zu den Beiträgen der Serie von Hans Jakob Roth und zu seinem Buch:
Eigengruppe und Fremdgruppen – kulturelle Unterschiede im Führungsverhalten
Kulturelle Unterschiede in der Kommunikation von Ziel- und Mitarbeiterorientierung
Das Buch „Organisationskultur im global tätigen Unternehmen“ geht von praktischen Beispielen aus, um die theoretischen Modellvorstellungen besser verständlich zu machen. Der Band ist das erste Werk, das Kulturunterschiede im Geschäftsleben nicht nur auf empirischen Befunden aufbaut, sondern sie auch theoretisch in einer Modellvorstellung erklärt und damit auch strategische Einschätzungen möglich macht.