Lage, Lage, Lage! Was hat der vertraute Ruf aus der Zunft der Immobilienmakler mit Krisenmanagement zu tun? Er gilt auch dort – aber mit einer ganz anderen Bedeutung: Er steht im Zusammenhang mit der Krise für die Aufforderung an die Führung, sich immer zuerst und dann immer wieder über die Lage zu informieren, bevor sie überhaupt über Optionen und Empfehlungen, Entscheidungen und Eingriffe zur Bekämpfung der Krise nachdenkt.
Die Erkundung der Lage ist deshalb so wichtig, weil es ja ein Kennzeichen der Krise ist, dass die Lage sich außerhalb der gewohnten Bahnen entwickelt. Denn Krise ist, wenn das tägliche Auf und Ab existenziell wird. Während die Beteiligten mit den normalen Schwankungen des Marktes vertraut sind und sich als Anbieter wie als Nachfrager darin bewegen können, weil sie selbst Teil dessen sind, was diese Schwankungen bei Angebot und Nachfrage ausmacht. Verlassen die Marktteilnehmer diese Schwankungsbreiten, bewegen sie sich auf unbekanntem Terrain und da ist die Erkundung der Landschaft von höchster Bedeutung, um nicht in den Sumpf, an den Abgrund, in den Urwald oder sonstige unangenehme Umgebung zu geraten.
In welcher Lage befinden wir uns?
Die Aufklärung der Lage ist in der Krise auch deshalb so bedeutsam, weil sie sich in der Krise schneller ändert als in der „Normalsituation“. Während die Beteiligten mit der Dynamik ihres Systems im Normalfall vertraut sind und die Rhythmen der Steuerungsprozesse darauf ausgerichtet sind, Veränderungen zum negativen (Risiken) wie zum positiven (Chancen) rechtzeitig – d.h. im Takt der Branche – zu erfassen, um noch rechtzeitig reagieren zu können, funktionieren diese Wahrnehmungen und die zugehörigen Reaktionszeiten und -muster in der Krise eben nicht mehr so selbstverständlich.
In der Konsequenz ist die Führung hier darauf angewiesen, in kürzeren Intervallen und z.T. mit anderen – auch improvisierten – Messinstrumenten die Lage zu vermessen. Fundierte Schätzungen sind hier manches Mal besser am Platze als Versuche der exakten Messung, wie alle Beteiligten sie aus der Normalsituation gewohnt sind. Denn unter dem Zeitdruck der Krise bewährt sich das Prinzip: Grob geschätzt ist mindestens doppelt so genau wie exakt nicht gewusst.
Wenn die Lage kein stimmiges Bild ergibt
Erschwerend kommt in dieser Situation hinzu, dass es Branchen gibt, die in wesentlichem Maße davon leben, Krisen und Katastrophen zu beschwören. Der alte Wahlspruch der Versicherungsvertreter „Angst verkauft gut“ wird auch von den Vertretern vieler Medien gerne praktiziert, wie in den letzten Krisen festzustellen war. Die Informationen aus diesen Quellen sind deshalb mit Vorsicht zu genießen und das heißt stets auch Glaubwürdigkeit und Plausibilität zu hinterfragen.
Richtig schwierig wird es mit der Lage aber erst, wenn die erhobenen (oder geschätzten) Daten sich überhaupt nicht mehr zu einem stimmigen Bild zusammenfügen lassen. Denn das bedeutet, dass die Führung nicht nur anders messen und mutiger schätzen, sondern nun ganz anders denken muss. Und da folgt aus der Irritation über das fehlende Gesamtbild, die sich in Sätzen äußert wie „Ich verstehe das alles nicht“, „Das kann doch nicht sein“ oder auch „Da kann irgendwas mit den Zahlen nicht stimmen“ im nächsten Schritt auch die Angst vor dem Kontrollverlust.
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Wie die Führung auch in dieser Situation Herr:in der Lage bleiben kann oder zumindest die Herrschaft über die Lage wiedererlangen kann, beschreiben wir in unserem neuen Buch „Führung in Krisensituationen“ – ganz praktisch mit Hilfe einer theoretischen Durchdringung der Lage und ausgewählten Beispielen aus unseren ausführlichen Gesprächen mit Vertreter:innen des Top-Managements der deutschen Wirtschaft.
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