Gerda ist Abteilungsleiterin. Ihr Anspruchsniveau an die eigene Leistung ist hoch. Die harte Arbeit fordert allerdings ihren Tribut. Durch einen rasch getakteten Aktionismus und ein ständiges Springen zwischen verschiedenen Themen fühlt sie sich für kurze Zeit „high“, um danach jedoch in eine Leere zurückzufallen. Selbstzweifel und Schlaflosigkeit stellen sich ein. „Ich funktioniere noch, also bin ich“, meint sie selbstironisch. Und fügt dann hinzu: „Aber, wer bin ich eigentlich wirklich? Ich komme mir total fremd vor.“ Inzwischen greift dieses Entfremden auch auf ihre engsten Mitarbeiter über. Gerda hat ein Problem. Es ist ihr das abhandengekommen, was wir die intrapersonale Kompetenz nennen.
Die Essenz der intrapersonalen Kompetenz
Wer andere Menschen überzeugen, anregen, begeistern, ermutigen, ermächtigen und letztlich führen will, muss zunächst imstande sein, mit sich selbst im Reinen zu sein. Die Rückkopplung mit der eigenen Innenwelt, die dazu befähigt, „sich selbst zu führen“, ist der Kern der intrapersonalen Kompetenz (Abbildung 1). Natürlich ist hier auch Vorsicht geboten. Zu viel Selbstaufmerksamkeit kann auch schaden. Zum Beispiel, wenn sich das wahrgenommene Ist als zu weit entfernt vom eigenen Ideal erweist.
Die Routine unterbrechen
Der erste Schritt zur intrapersonalen Kompetenz mutet einfacher an als er ist. Wer etwa als Projektleiter oder Führungskraft die Mühen der Ebene scheut und auch noch zur Selbstüberschätzung neigt, sieht gar keinen Anlass dafür, seine Routine zu unterbrechen oder seine Arbeitsweise zu hinterfragen. Und wer Führungs- und Projektarbeit als „Troubleshooting“ versteht, schafft den Ausstieg aus der Tretmühle ohnedies nicht, weil er oder sie im Aktionismus gefangen ist.
Sich auf Selbstreflexion und Selbsteinschätzung einlassen
Ein Tipp für die Führungs- und Projektarbeit: Investieren Sie gelegentlich etwas Zeit in die Innenschau und Sie erhalten eine ansehnliche Dividende in Form von Selbsterkenntnis. Lassen Sie also vor Kurzem Erlebtes nochmals Revue passieren und ziehen Sie daraus praktische Schlussfolgerungen für die nächsten Schritte. Daran gewöhnt, fällt dann auch die Selbsteinschätzung leichter: Was sind die Dinge, in denen ich gut bin? Was meine ich bloß zu können? Was möchte ich gerne können? Was sind die Dinge, die andere an mir gut finden?
Selbstwirksamkeit erfahren
Solcherart gestärkt wächst auch die Überzeugung, etwas aus eigener Kraft zu bewirken und in schwierigen Situationen eigenständig zu handeln. Wer sich seiner Selbstwirksamkeit bewusst ist, besitzt nicht nur höhere Ausdauer. Er oder sie verfügt auch über Zuversicht und ist damit weniger anfällig für Angststörungen. Die Erfolgschancen für schwierige Aufgaben sind höher als bei Personen voller Selbstzweifel. Misserfolge werden nicht als Makel, sondern als Ansporn erlebt.
Negative Gefühle neutralisieren und sich gegen Stress wappnen
Was tun, wenn Neid, Angst, Wut, Trauer oder Eifersucht zu ständigen Begleitern werden? Geübt im Umgang mit dem eigenen Selbst gelingt es auch leichter, negative Gefühle durch positive Vorstellungen zu neutralisieren. Wer etwa Ärger spürt, sollte rasch an etwas denken, was ihn aufheitert, oder tun, was ihm Freude bereitet. Der Bonus: Führungskräfte verschwenden dann nicht mehr enorme Energien, um negative Gefühlslagen zu verbergen. Die innere Erregung wird gedämpft, was dem destruktiven Stress die Grundlage entzieht.
Der Wert der intrapersonalen Kompetenz
Die intrapersonale Kompetenz als Kombination aus bereitwilliger Rückkopplung mit der eigenen Innenwelt und gekonntem Umgang mit negativen Gefühlen und Stress ist ein Ausdruck persönlicher Reife. Sie einfach vorauszusetzen, wäre fahrlässig – an ihr ein Leben lang zu arbeiten ist hingegen erstrebenswert und lohnend.
Mehr erfahren?
Lesen Sie hier die bisherigen Beiträge von Heinz K. Stahl und Gerhard Hillmer:
„Kompetenz – Ist dieser Begriff noch zu retten?“
Führungs- und Projektarbeit – Was ist daran so schwierig?
Heuristische Kompetenz – Von Archimedes zu Mark McCormack
Das Buch „Schlüsselkompetenzen in Führungs- und Projektarbeit“ wirft einen kritischen Blick auf herkömmliche Kompetenzmodelle und stellt das neue Umfeld für Führungs- und Projektarbeit vor. Es entwickelt daraus fünf zentrale Schlüsselkompetenzen und verknüpft diese mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen.