Stellen wir zu Beginn zwei Idealtypen gegenüber, vielleicht ist es auch nur ein Idealtyp und ein Stereotyp: Einerseits der ordentliche Kaufmann, wie ihn der Gesetzgeber im Handels- und Gesellschaftsrecht vorsieht (vgl. § 347 HGB oder § 43 GmbHG), und andererseits der Idealtypus von Gründerinnen und Gründern, die für risikofreudiges, innovatives und pragmatisches Handeln im Geschäftsleben stehen. Während der ordentliche Kaufmann durch größtmögliche Sorgfalt und der Ausfüllung einer organschaftlichen Kontrolle der ihm unterstehenden Gesellschaftsstrukturen geprägt ist, hebt das Idealbild des Start-ups flache Hierarchien und größtmögliche Eigenverantwortung aller Teammitglieder hervor.
Rechtliche Risiken können ausufern
Gründerinnen und Gründer sind also risikoaffin, dürfen rechtlich aber zugleich nicht sorglos sein. Das gilt ganz besonders für rechtliche Risiken, die aus möglichen Verstößen gegen Normen – schlimmstenfalls Strafnormen – entstehen. Unter dem Begriff Compliance wird der Umgang mit eben diesen Risken zusammengefasst. Die drohenden Nachteile können ebenso das Unternehmen wie die Gründerinnen und Gründer persönlich betreffen. Das Unternehmen, weil es zu Bußgeldern und zivilrechtlicher Haftung kommen kann, nicht zuletzt aber auch zu erheblichen Reputationsschäden. Die handelnden Personen, weil sie sich selbst strafbar und haftbar machen können. Das Strafrecht ist nach dem in der großen Koalition vorläufig gescheiterten Verbandssanktionengesetz immer noch ein Personenstrafrecht und durch das Schuldprinzip geprägt. Selbst ein bewusstes Wegschauen kann jedenfalls für die gesetzlichen Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer aufgrund ihrer Garantenstellung zu einer Strafbarkeit durch Unterlassen führen. Von zivilrechtlicher Haftung ganz zu Schweigen.
Compliance funktioniert nicht nur für große Unternehmen
In Anbetracht dieser Risiken ist Compliance ein sehr präsentes Thema auch in der Start-up-Welt geworden. Die diffuse Sorge vor Konsequenzen ist dabei ebenso groß wie die Frage, wie konkrete Compliance-Maßnahmen aussehen könnten. Der Gesetzgeber selbst hält sich bei der Ausgestaltung der Präventionsmaßnahmen meist zurück. Mit wenigen Ausnahmen (etwa im Datenschutz) werden kaum Aussagen über organisatorische Maßnahmen getroffen. Deutlich konkretere Ausgestaltungen für ein Compliance-Management-System stellen untergesetzliche Leitlinien wie der Deutsche Corporate Governance Kodex oder der Prüfstandard für Wirtschaftsprüfer IDW PS 980 dar. Diese sind aber weitestgehend für große Organisationen ausgelegt. Abstrakte Check-Listen existieren zwar vielfach, dienen aber eher als Inspiration.
Eine wichtige Eigenschaft und Funktionsweise für Compliance-Management-Systeme besteht eben gerade darin, dass sie sich in die gelebte Praxis des Unternehmens einfügen. Die Individualität eines Unternehmens soll gerade zum Ausdruck kommen. Und genau hier können die Idealbilder ordentlicher Kaufmann und agile Gründerinnen und Gründer in Einklang kommen. Schnelle Entscheidungen und eine hohe Risikobereitschaft sind unternehmerisch zulässig, vor allem in risikokapitalfinanzierten Unternehmen. Sie müssen aber mit sorgfältiger Risikoermittlung und Risikoabwägung einhergehen. Grundlegende Compliance-Maßnahmen müssen auch in einem agilen Start-up eingehalten werden. Dies fängt bei einer sorgfältigen Auswahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an, denn Compliance muss letztendlich nicht nur von der Geschäftsleitung, sondern vom gesamten Team gelebt werden. Sensibilisierung, Schulung und ein Bewusstsein für rechtliche Risiken bilden hier nicht zu ersetzende Grundlagen. Auch im Zusammenspiel mit Investoren lässt sich eine Risikoprävention erreichen. Die Einbindung eines Beirates in kritische Entscheidung macht nicht nur Sinn, sondern sollte auch in einer Geschäftsordnung für die Geschäftsleitung vorgesehen sein.
Compliance als Wertfaktor
Flexible Unternehmensentwicklung und ein Bewusstsein für rechtliche Risiken lassen sich also vereinen. Compliance trägt sogar zu einer positiven Unternehmensentwicklung bei. In der Bewertung durch Investoren (Due Diligence) stellt Compliance einen Wertfaktor dar – auch Risikokapitalgeber scheuen manche Risiken.
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