Normalerweise kam ich morgens immer etwas später auf dem Konsulat an als unsere Angestellten. Wenn ich dann einem meiner chinesischen Mitarbeiter auf dem Gang begegnete, klopfte ich ihm kurz auf die Schulter oder berührte ihn am Unterarm um zu fragen, wie er mit seinem Projekt vorankomme. Diese Teilnahme an seiner Aufgabe wurde im chinesischen Kontext immer sehr positiv aufgenommen, ich erfuhr in ein paar Sätzen den Stand der Arbeiten. Wenn ich dasselbe hingegen bei meinen Schweizer Mitarbeitern tat, reagierten sie oft erstaunt und ich wurde zwei oder drei Mal gefragt, ob ich meine, das Projekt sei nicht unter Kontrolle oder mache keine Fortschritte?
How to reduce the communication gap
Die chinesischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter akzeptierten die Nähe und reagierten sehr positiv darauf, während die schweizerischen Angestellten sich sofort Fragen zu stellen begannen. Sie waren es gewohnt, nach Besprechung eines Projektes und nach Festlegung von Zielen allein auf die Verwirklichung hinzuarbeiten. Niratpattanasai drückte dies als Ratschlag für eine entsandte Führungskraft in Thailand folgendermassen aus: «Set some milestones for monitoring progress. Try to make the monitoring informal and friedly – regular chit-chats a few minutes a day with Thai staff. This will greatly reduce the communication gap.”
Führungsprobleme ergeben sich relativ oft aus dem unterschiedlichen Gebrauch von analoger und digitaler Kommunikationsweise. Die Auftragserteilung muss in einem chinesischen Arbeitsumfeld normalerweise wesentlich konkreter ausfallen, als dies von einem deutschen oder schweizerischen Umfeld verlangt würde. Abstraktion wird sehr oft nicht verstanden und, was es noch schwieriger macht, das Unverständnis wird wiederum nicht zugegeben. Kolleginnen oder Kollegen zeigen sich mit dem Chef einverstanden, haben jedoch den Auftrag gar nicht richtig verstanden.
Verbunden ist der Unterschied ganz direkt auch mit der Ziel- und Mitarbeiterorientierung. Zielorientierung ist viel direkter und digital, es geht auf die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter kaum mehr ein, wenn die Ziele einmal festgelegt worden sind (und oft leider auch vorher nicht). Umgekehrt ist Mitarbeiterorientierung primär analog, wie das Beispiel sehr schön aufzeigt. Die Zielverfolgung ist mit der Emotion und dem analogen Zugang verbunden und nur über diese Schiene erreichbar.
Sie möchten mehr über kulturelle Unterschiede erfahren?
Hier geht es zu den Beiträgen der Serie von Hans Jakob Roth und zu seinem Buch:
Eigengruppe und Fremdgruppen – kulturelle Unterschiede im Führungsverhalten
Das Buch „Organisationskultur im global tätigen Unternehmen“ geht von praktischen Beispielen aus, um die theoretischen Modellvorstellungen besser verständlich zu machen. Der Band ist das erste Werk, das Kulturunterschiede im Geschäftsleben nicht nur auf empirischen Befunden aufbaut, sondern sie auch theoretisch in einer Modellvorstellung erklärt und damit auch strategische Einschätzungen möglich macht.