Die schwierige Situation, in der wir uns alle derzeit befinden, trifft vor allem auch unsere Arbeitswelt. Viele von uns sind es in ihrer beruflichen Tätigkeit gewohnt frei, schnell und ergebnisorientiert handeln zu können. Eine Krise erschwert dies aber ungemein, weil sie uns ausbremst, psychisch belastet und widrige Bedingungen mit sich bringt. Denn eine Krise ist dadurch definiert, dass etwas geschieht, das wir nicht möchten und darüber hinaus nur schwer bis gar nicht kontrollieren können.
Kontrolle ist alles
Gerade in der Arbeitswelt ist es üblich, ein fundamentales Prinzip anzuwenden: das der Kontrolle. Was im Alltag gilt – wenn wir hungrig sind, essen wir, wenn uns langweilig ist, lenken wir uns ab – gilt im besonderen Maß auch für die berufliche Tätigkeit, die wir ausüben. In der Regel funktionieren Projektpläne, stehen Ressourcen zur Verfügung und wir verfügen über vielfältige Freiheitsgrade in der Umsetzung von Aufgaben. Eine Krise steht dem entgegen, weil sie unsere Kontrolle, Ressourcen und unsere Entfaltung begrenzt. Zudem kann uns ein weiteres menschliches Prinzip in einer Krise sehr zusetzen: dieses Prinzip lautet ›mehr vom selben‹. In Anbetracht von Widrigkeiten sind wir es gewohnt, mehr Energie, mehr Aufwand oder auch mehr Know-how einzusetzen, um unser Ziel zu erreichen. Wir investieren dann immer mehr Energie in Kontroll-Mechanismen – was im normalen Arbeitsalltag oft von Erfolg geprägt ist. Jedoch funktionieren das Kontroll-Prinzip und ›mehr vom selben‹ nicht in einer echten und globalen Krise.
Verzweiflung ist ein Ausdruck gescheiterter Kontrolle
Das Nicht-Funktionieren ist für uns alle schwer zu akzeptieren. In vielen Fällen reagieren wir emotional verzweifelt, wenn wir feststellen, dass wir wenig oder keine Kontrolle über für uns wichtige Vorgänge und Bereiche haben. Das Naheliegendste ist für uns meistens nach weiteren Kontroll-Möglichkeiten, pragmatischen Tipps oder externer Hilfe zu suchen. Aber auch diese Suche bringt uns meistens nicht weiter. Wenn sie es täte, würden wir uns nicht in einer echten Krise befinden. Das bedeutet für uns oft, dass wir Ohnmacht, Stress und Angst empfinden, weil wir keine Lösung finden können. Wir sind gestresst vom Stress, verzweifelt von der Verzweiflung oder auch ohnmächtig von der Ohnmacht. Was immer uns in dieser Situation emotional negativ belastet, verdoppelt sich, weil wir keine weiteren Kontroll-Schritte oder pragmatischen Handlungsanweisungen finden.
Die Antwort liegt in unseren Köpfen
In der Psychologie sprechen wir von aktiven Kompetenzen, die wir versuchen in Anbetracht schwieriger Situationen zu entwickeln und zu nutzen (etwas tun). Die Antwort liegt aber vielmehr in den passiven Kompetenzen, über die wir alle auch verfügen. Und diese benötigen wir viel mehr, um eine Krise bewältigen zu können. Das hat aber weniger mit aktiven Handlungen oder ›mehr vom selben‹ zu tun, sondern vielmehr mit unserer Fähigkeit zu denken, zu entscheiden und zu akzeptieren – also mit unseren inneren Vorgängen, die wir beeinflussen können. Oder anders formuliert: Wenn in einer bestimmten Situation gewohnte Prinzipien versagen, sollten wir auf alternative Prinzipien zurückgreifen.
Der Kontext (Bezugsrahmen) bestimmt unser (Er-)Leben
Wir organisieren unser Bewusstsein in bestimmten inneren Kontexten und Perspektiven mithilfe derer wir Geschehnisse interpretieren und unsere Handlungen bestimmen. Rational gesehen ist eine Krise auch nur ein Kontext, der bestimmte Erlebensweisen und (eingeschränkte) Handlungsräume mit sich bringt. Da wir eine Krise wenig bis gar nicht (aktiv) beeinflussen können, geht es darum, nach Strategien zu suchen, wie wir mit diesem speziellen Bezugsrahmen umgehen können, beziehungsweise nach Perspektiven zu suchen, die uns wieder mehr Gestaltungsmöglichkeiten geben.
Akzeptanz ist etwas Passives
Mit etwas umzugehen, das wir nicht verändern können, setzt voraus, dass wir das Gegebene hinnehmen (passive Kompetenz). Auf der einen Seite fällt uns das allen schwer und auf der anderen Seite schafft es einen neuen Möglichkeitsraum, den wir nutzen können nach Wegen im Umgang mit dem Unveränderlichen zu suchen. Es ermöglicht uns, den Bezugsrahmen zu wechseln, uns von ihm ein Stück zu entfernen, ihm vielleicht sogar zeitweise zu entkommen. Wir beenden die Suche nach pragmatischen Kontroll-Mechanismen oder Bemühungen, die dem ›mehr vom selben‹ Prinzip folgen. Das wiederum erzeugt Freiheitsgrade, die wir nutzen können.
Menschen sind anpassungsfähig
Wir sind vor allem Überlebenskünstler, die sich immer wieder an neue Umstände anpassen können. Das bezieht sich auf unsere Umwelt, aber auch auf unser Innenleben. Wir sind in der Lage auf Veränderungen zu reagieren und uns mit der Zeit in neuen Umständen zurechtzufinden. In Bezug auf die Pandemie und unsere Arbeitswelt gilt genau das gleiche. Nur weil uns etwas nicht wie gewohnt zur Verfügung steht, bedeutet das nicht, dass wir es nicht wiederbekommen können. Das entspricht dem Prinzip der Geduld. Und wir sind in der Lage, uns den Gegebenheiten anzupassen. Wenn wir uns den Bezugsrahmen der Akzeptanz zunutze machen, nehmen wir das Gegebene hin und können herausfinden, welche Möglichkeiten wir hinter dem Schrecken der Krise finden.
Wechsle die Perspektive und Prinzipien
Fassen wir zusammen: Krisen sind Situationen, die wir nicht wünschen und nicht kontrollieren können. Innerhalb unserer gewohnten Bezugsrahmen von Kontrolle und ›mehr vom selben‹, warten keine Lösungen auf uns, sondern meistens eher die Verdopplung von Stress, Ohnmacht und Verzweiflung. Wenn wir das Gegebene hinnehmen (passiv), entstehen Alternativen und neue Möglichkeitsräume.
Dabei können wir neue Prinzipien, Perspektiven entwickeln und einnehmen:
- Akzeptanz: die Umstände hinnehmen und die Suche nach direkten Lösungen einstellen
- Anpassung: die Umstände betrachten und nach Alternativen suchen, neue Ideen, Dienstleistungen & Produkte entwickeln, die momentan benötigt werden
- Geduld: nichts ist für immer verloren und kann wiederkommen, wir können lernen, Stillstand auszuhalten und abzuwarten
- Exploration: die bekannten Ufer verlassen und Ausschau nach Neuem halten (persönlich, wirtschaftlich, strukturell, technologisch etc.)
- Großzügigkeit: sich selbst und anderen erlauben, nicht so leistungsfähig, ausgeruht oder freundlich wie gewohnt zu sein, mehr (grundlose) Belohnungen, um zuversichtlich und stabil zu bleiben
- Sparsamkeit: das Vorhandene (Dinge, Zeit, Ressourcen, Werte) erfassen und einteilen, einen guten Plan machen und einhalten, aber auch die Beschäftigung mit der Krise begrenzen
- Freundlichkeit: mehr Zeit und Energie in die Verbesserung von Beziehungen (Mitarbeiter, Kollegen, Partner, Kunden) investieren, mitdenken, für andere da sein – viele werden sich nach der Krise fragen, wer für sie da war
- Gelassenheit & Positivität: trotz der Einschränkungen geht es den meisten von uns gut, sodass wir uns erlauben können, zuversichtlich und positiv zu sein
- Kreativität & Lernen: das Mehr an Zeit für ein neues Lernfeld nutzen, Fähigkeiten auffrischen, Fortbildung, neue Ansätze für bekannte Abläufe entwickeln
- Ordnung: Kontrolle über das ausüben, was wir kontrollieren können: ausmisten, aufräumen, sortieren, putzen, renovieren, reparieren
Die Perspektive zu wechseln ist für viele von uns zu Beginn ungewohnt und vielleicht auch schwer. Das ist ganz normal. Gleichzeitig erzeugt ein Perspektivwechsel aber auch neue Möglichkeiten, Freiheitsgrade und alternative Gestaltungsräume – eine Krise ist auch immer eine Chance für (manchmal notwendige) Veränderungen.
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In ihrem Buch „Teambeziehungen positiv gestalten“ zeigen Bella und Chrisch Leisten wie wir Bezugsrahmen verstehen, uns alternative Prinzipien zunutze machen und Teambeziehungen positiv gestalten können.