So geht es nicht mehr weiter.
Fragen der Macht gelten als eine der wichtigsten Ursachen für das Scheitern von Veränderungsprozessen. Diese Erkenntnis ist mittlerweile bei so gut wie allen Organisationen angekommen. Nicht nur Google, Facebook und durch die VUKA-Welt gebeutelte DAX-Konzerne, sondern auch Krankenhäuser, Sparkassen und öffentliche Verwaltungen versuchen, eine agile, d.h. innovative, flexible und motivierende Kultur zu etablieren. Gründe dafür gibt es viele, von technologischen Umwälzungen im Zuge der Digitalisierung und steigendem Konkurrenzdruck auf den globalisierten Märkten bis hin zum weit verbreiteten Fachkräftemangel.
Mit den noch aus der frühen Industrialisierung stammenden bürokratischen Organisationskonzepten kommen wir häufig nicht mehr weiter (wenngleich, und das wird häufig übersehen, viele Unternehmen gerade im Niedriglohnbereich weiterhin wie in frühkapitalistischen Zeiten geführt werden). Wer ein Startup gründet, kann es von vornherein anders und hoffentlich besser machen. Doch wie können sich traditionsreiche Mittelständler oder Großkonzerne mit über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen und Kulturen verändern?
Das zentrale Problem auf dem Weg zu einer agileren Organisation ist nicht die handwerkliche Gestaltung des Change-Prozesses, sondern die Veränderung der etablierten Machtbalance. Studien zeigen: Bis zu 70% aller Veränderungsprozesse scheitern – dabei spielen Interessenkonflikte, Widerstände aus dem Linienmanagement und Beharrungstendenzen im Top-Management eine zentrale Rolle.
„Macht ist die Chance, nicht lernen zu müssen“
Eine Strategie, um Agilität trotz Hierarchie zu ermöglichen, ist die Separierung agiler Inseln von der Linienorganisation, z.B. in Form von Ausgründungen oder abgeschotteten Unternehmensteilen. So wurde der BMW i3 als innovatives Projekt in einem Werksteil entwickelt, zu dem nur die Projektmitarbeiter Zugang hatten.
„Macht ist die Chance, nicht lernen zu müssen“, schrieb Wolfgang Scholl, emeritierter Professor für Organisations- und Sozialpsychologie an der Humboldt-Universität Berlin einmal. Das Beispiel der DDR zeigt, dass diese Lernverweigerung immer nur so lange funktioniert wie externe Fehlanpassungen und interne Spannungen nicht zu groß werden. In sich verändernden Umwelten gilt also: „Macht ist die Illusion, nicht lernen zu müssen“. Diese Illusion wird dadurch genährt, dass man immer weniger Feedback und abweichende Meinungen zu hören bekommt, je höher man auf der Karriereleiter kommt.
Auf dem Weg von der klassischen zu einer agileren Organisation entsteht daraus die paradoxe Situation, dass die Macht sich rechtzeitig selbst relativieren muss. Die schon seit Jahrzehnten eingeforderte Neudefinition von Führung im Sinne einer eher unterstützenden, Selbstorganisation und Entwicklung fördernden, moderierenden und beratenden Rolle bedeutet für Führungskräfte zunächst oft einen gefühlten Macht- und Kontrollverlust. Nicht nur die Führungskraft selbst, sondern die gesamte Organisation muss ihre Erwartungen umstellen, damit das Fördern interner Abweichungen nicht als Regelverstoß, das Zulassen von Experimenten nicht als Bedrohung, der Rückzug aus der Alleinentscheiderrolle nicht als Führungsschwäche erlebt wird. Hierzu bedarf es vor allem einer intensiven gemeinsamen Reflexion im Führungskreis, sowohl lateral als auch vertikal.
Die Organisation zukunftsfähig zu machen, kostet Zeit und Geld, die in der Krise fehlen.
Ein Grund mehr, frühzeitig in die‚ vorausschauende Selbsterneuerung‘ (Wimmer) zu investieren, denn wenn die Krise spürbar wird, ist es oft schon zu spät. Auch das ist eine Binsenweisheit. Doch in der VUKA-Welt, in der die Unsicherheit nicht nur auf der Mitarbeiterebene, sondern auch und gerade im Management zunimmt, ist die Versuchung groß, es erst einmal weiterhin mit den bewährten Erfolgsrezepten zu versuchen.
Der erste Schritt auf dem Weg zu einer zukunftsfähigen Organisation beginnt daher mit der Bereitschaft, sich der Unsicherheit bereits in guten Zeiten auszusetzen – hier ist von der oberen Führungsebene eine unternehmerische Qualität gefragt, an der es in der typischen Absicherungskultur durchregulierter Organisationen häufig mangelt: Mut zum Risiko.
Sie wollen mehr zu diesem Thema erfahren?
Dann empfehlen wir Ihnen das Buch „Macht in Organisationen“ von Falko von Ameln und Peter Heintel. Oder das Interview mit Falko von Ameln auf blog.getabstract